Lebensraum und Volksgemeinschaft im ehemaligen Adolf-Hitler-Koog: Der Historische Lernort Neulandhalle

Im Auftrag des Ev.-luth. Kirchenkreises Dithmarschen erarbeitete das IZRG in der ersten Jahreshälfte 2012 ein Konzept sowie zugleich eine Machbarkeitsstudie zur Neukonzeption der Nutzung der Neulandhalle im Dieksanderkoog als Vermittlungsort regionaler NS-Geschichte.

Die Neulandhalle, 1935 im damaligen „Adolf-Hitler-Koog“ gegründet, gilt heute als eine der ganz wenigen authentischen und architektonischen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, in der sich nicht die Gräueltaten und Schrecken des NS-Regimes studieren lassen, sondern in der potentielle Besucher verheißungsvolle und vermeintlich positive Integrationsangebote der NS-Volksgemeinschaft erfahren können. Als feierlicher Versammlungsort, Tagungsstätte und Ersatzkirche lag ihre ursächliche Bestimmung darin, den Bewohnern des Kooges ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der sozialen Nähe und Harmonie zu vermitteln. In und mit der Neulandhalle als Zentrum des homogen zusammengesetzten „Adolf-Hitler-Kooges“ wurde „Volksgemeinschaft“ inszeniert, mittels einnehmender Angebote, wie gemeinsamer Erntedankfeiern, Schulungen oder Jugend- und Eheweihen versucht, die „arische“ Mehrheitsbevölkerung, die politisch Folgsamen zu integrieren, ganze Massen zu mobilisieren.Darüber hinaus bildete die Neulandhalle in den 1930er Jahren den Schlussstein des ersten erfolgreichen nationalsozialistischen Landgewinnungsprojekts, dem weitere, in ihrer Summe gigantomanische Vorhaben folgen sollten: Innerhalb der nächsten 100 bis 150 Jahre sollte das schleswig-holsteinische Wattenmeer verlandet werden, um Siedlungsraum zu schaffen. Hinrich Lohse, „Gauleiter“ und Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein, hatte mit feinem Gespür für symbolische Politik die politischen und propagandistischen Möglichkeiten des Themas „Landgewinnung“ für Schleswig-Holstein erkannt. Er sah darin die Möglichkeit, das schleswig-holsteinische Profil als „Mustergau“ zu schärfen. Dazu führte er NS-Lebensraumpolitik, Westküstentradition und akute gesellschaftliche Probleme zusammen. Im Mittelpunkt standen der „friedliche“ Gewinn an „Lebensraum“ für das deutsche Volk, die Neubildung des „deutschen Bauerntums“ sowie die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit.Dem „Adolf-Hitler-Koog“ billigten die NS-Strategen dabei Modellcharakter zu; er galt als Prestigeprojekt, das reichsweite Aufmerksamkeit erfuhr, denn hier wurde nicht nur die Landnahme vorweggenommen, hier ließ sich auch die ‚Volksgemeinschaft im Kleinen’ inszenieren. Mit „92 Feuerstellen“ weise der Koog, so eine Broschüre des Oberpräsidenten, „eine gesunde Mischung von Voll-, Kleinbauern-, Handwerker- und Arbeiterstellen auf.“ ‚Rassisch‘ seien nur Siedler aus Dithmarschen infrage gekommen, weil dieses „Menschenmaterial altem germanischem Bauerntum“ entstamme; Nationalsozialisten waren alle. Derartige „neue Gemeinschaften“ entständen an der gesamten Westküste: „Die Menschen, die in einem Kooge angesiedelt sind, bilden eine neue Gemeinschaft, nicht nur als politische Gemeinde, sondern vor allen Dingen auch als Wehrverband gegenüber dem Meer.“ Und schließlich die Übersteigerung ins Absurde: „Wie der kleinste Koog an der schleswig-holsteinischen Westküste, so ist auch das ganze deutsche Reich ein Koog.“Als gesellschaftlicher Mittelpunkt und zugleich architektonischer Höhepunkt der neuen Gemeinschaft im „Adolf-Hitler-Koog“ kann die Neulandhalle heute als herausragender, authentischer Ort der programmatischen NS-Architektur und des lokal realisierten Zukunftsmodells der NS-Volksgemeinschaft betrachtet werden. Mittels einer neuartigen musealen Präsentation der NS-Geschichte könnte hier das vermisste Komplementärstück zur Vermittlungsarbeit an Stätten der NS-Verfolgung (zu nennen wären für Schleswig-Holstein beispielsweise die KZ-Gedenkstätten Ladelund und Husum-Schwesing) geschaffen werden.

Die am 9. August 2012 an die Kultusministerin Anke Spoorendonk übergebene Machbarkeitsstudie (die Pressemitteilung finden Sie hier) identifizierte für einen historischen Lernort Neulandhalle ein inhaltlich wie didaktisch bundesweit einzigartiges Potential von exemplarischer nationaler Bedeutung. Die Studie förderte zu Tage, dass die aus der Geschichte des „Adolf-Hitler-Kooges“ und der Neulandhalle abgeleitete thematische und fachdidaktische Zuspitzung auf die drei Konzepte NS-Selbstdarstellung, NS-Lebensraum und NS-Volksgemeinschaft ein tragendes museales Grundkonzept für einen historischen Lernort liefert. Objekt, Bauplanung, Raumkonzept, denkbare Trägerschaften, angelegte Kooperationen, Bedarfsanalyse, Kostenermittlung und Finanzierungskonzept gemeinsam wiesen insgesamt die Machbarkeit eines historischen Lernortes Neulandhalle aus.

Im Historischen Lernort Neulandhalle werden Fragen nach der gesellschaftlichen und plebiszitären Verankerung der „NS-Zustimmungsdiktatur“ exemplarisch bearbeitet. Damit wird eine wichtige Vermittlungsaufgabe zum historischen Verständnis des Nationalsozialismus geleistet. Leitgedanke ist die Janusköpfigkeit der Konzepte: die als traditionsverbunden vermarktete Landgewinnung fand folgerichtige Fortsetzung als Lebensraumkrieg und das harmonische Inklusionsversprechen der NS-Volksgemeinschaft basierte auf vielfältiger, steter und gewaltsamer Exklusion. In das Konzept des Lernortes integriert ist deshalb die Kooperation mit KZ-Gedenkstätten (Neuengamme, Ladelund) und weiteren Einrichtungen. Auch die Kooperationen mit Lehramtsstudiengängen der Universitäten Kiel und Flensburg sowie dem Institut für Qualitätssicherung in Schulen Schleswig-Holstein sind auf Dauer angelegt.

Aus diesem Befund heraus entwickelte das IZRG 2013 einen Antrag an den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Förderung aus der Gedenkstättenkonzeption des Bundes für das Projekt „Historischer Lernort Neulandhalle“. Ziel des im September diesen Jahres durch das Land Schleswig-Holstein einzureichenden Antrags ist die (bis zu) 50%ige Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Schaffung des „Historischen Lernorts Neulandhalle“ im Dieksanderkoog. Der Antrag umfasst sowohl Entwicklung und Aufbau einer Ausstellung samt Begleiteinrichtungen als auch Baumaßnahmen am Kernexponat „Neulandhalle“ und den Bau des Besucherzentrums. Geplant ist die Maßnahme für den Zeitraum September 2014 bis August 2017 (Eröffnung 1.9.2017).

Die Gesamtkosten betragen 4.173.540,00 €, wobei das Land Schleswig-Holstein die hälftige Finanzierung garantieren muss. Der nachhaltige Dauerbetrieb der Einrichtung - die jährlichen Betriebskosten betragen 218.000,00 € - soll durch institutionelle Förderung des Landes resp. der Bürgerstiftung gesichert werden. Der Beschluss der Landesregierung steht noch aus.